Freitag, 15. Januar 2016

Buchrezension: Catherine Ryan Hyde - Ich bleibe hier

Catherine Ryan Hyde

Ich bleibe hier


Inhalt: 


Der ehemalige Broadway-Tänzer Billy Shine leidet an Agoraphobie und hat seit fast einem Jahrzehnt keinen Fuß mehr vor die Tür seines Appartements gesetzt. Seine Nachbarn sind die attraktive Nagelpflegerin Rayleen, die einsame alte Mrs Hinman, der engstirnige und übellaunige Mr Lafferty, der gutherzige Felipe und die neunjährige Grace – und ihre mit der Drogensucht kämpfende Mutter Eileen.
Billy hat nur kurze Blicke auf sie erhascht – aber die meisten von ihnen haben ihn nie gesehen. Doch dann sieht er Grace täglich stundenlang auf der Vordertreppe des Gebäudes sitzen, in unmittelbarer Nähe zu seiner Veranda. Durch diese Änderung der natürlichen Ordnung beunruhigt, schafft Billy es weit genug heraus, um Grace zu fragen, warum sie nicht ins Haus geht, wo es sicherer ist. Ihre Antwort: "Wenn ich drinnen bin, erfährt keiner, dass ich in Schwierigkeiten bin. Und dann kann mir niemand helfen."
Diese Antwort ändert alles. 

Rezension:

Grace ist ein neunjähriges Mädchen, das bei ihrer alleinerziehenden, drogenabhängigen Mutter wohnt. Das Jugendamt scheint zwar Kenntnis über die schwierige Situation zu haben, einer Fürsorgepflicht für Grace wird aber nicht nachgekommen, als klar ist, dass ihre Mutter wieder "voll drauf" ist und die Tage einfach verschläft. Um sich selbst zu helfen, setzt sich Grace nach der Schule auf die Stufen des Mehrparteienhauses, in der Hoffnung, dass Nachbarn auf sie aufmerksam werden. 

Ihr Plan geht auf, und die Hausgemeinschaft bestehend aus dem Einsiedler Billy, Latino Felipe, dem mürrischen Mr Lafferty, Kosmetikerin Rayleen und der alten Dame Mrs Hinman beginnt sich abwechselnd um Grace zu kümmern: Rayleen bringt sie zur Schule, Felipe holt sie ab, Billy übernimmt die Betreuung nachmittags und Rayleen im Anschluss. Grace hat nun einen geregelten Tagesablauf, erhält regelmäßige Mahlzeiten, einen ordentlichen Haarschnitt, lernt Stepptanzen und blüht regelrecht auf. Auch die Bewohner knüpfen mehr Kontakt zueinander und lernen sich besser kennen. 

Graces Mutter Eileen ist zunächst froh über das gratis Babysitting bis sie phasenweise aus ihrem Drogenrausch erwacht und Grace wieder zu sich holt. Zuvor hatten sich die Hausbewohner aber bereits gefragt, ob sie das Richtige mit ihrer Rundumbetreuung tun, schließlichwürde sich durch die bequeme Entlastung der Mutter nichts an der trotz allem unbefriedigenden Situation für Grace ändern, da ihre Mutter keine Veranlassung für einen endgültigen Entzug hätte. 

Das Buch ist abwechselnd aus der Sicht von Grace und Billy geschrieben. Grace ist für ihr junges Alter und ihren sozialen Hintergrund erstaunlich vernünftig und fast schon altklug, während Billy als Erwachsener mit seinem Leben überfordert scheint und es nicht wagt, die eigenen vier Wände zu verlassen. Auch alle weiteren Hausbewohner scheinen ihre seelischen Probleme zu haben - das Buch bzw. das Mehrfamilienhaus vereint eine Ansammlung therapiedürftiger Menschen. 

Den Plot empfand ich als gute Idee: ein Mädchen, das sich durch die Flucht nach vorne beginnt selbst zu helfen und damit das Leben ihrer bislang unbekannten Hausbewohner durcheinander bringt und ein Stück weit besser macht - ein modernes Märchen, das nachdenklich macht und mit Sicherheit in seiner Geballtheit der Einzelschicksale keine realistische Haussituation darstellt. "Ich bleibe hier" veranschaulicht, wie wichtig es ist, nicht die Augen vor Problemen anderer zu verschließen und das man gemeinsamen mehr als allein erreichen kann. 

Was mir jedoch gefehlt hat, war mehr Hintergrund zu den Personen: Warum lebten sie bisher alle so zurückgezogen und lernten sich erst kennen, als sich Grace auf die Treppe setzte? Was war der Auslöser für Eileens Drogensucht? Wo ist der Vater von Grace? Was ist in Billys Leben vorgefallen, dass er sich nicht vor die Tür traut? Warum fühlt sich Felipe derart als Ausländer herabgesetzt und diskriminiert? Warum hatte Mr Lafferty keinen Kontakt mehr zu seinen Kindern?

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