Mittwoch, 12. Oktober 2016

Buchrezension: Sonja Vucovic - Gegessen: Wer schön sein will, muss leiden, sagt der Schmerz...

Sonja Vucovic

Gegessen: Wer schön sein will, muss leiden, sagt der Schmerz...

 

Inhalt:

Ausgekotzt - Ein Leben nach Missbrauch und Bulimie
In Deutschland leiden immer mehr Mädchen und Jungen in immer jüngeren Jahren an Essstörungen. Eine davon war Sonja Vukovic, sie litt dreizehn Jahre an Anorexie und Bulimie. Bis sie sich endlich traute, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Mit ihrer eigenen Geschichte offenbart die heute Einunddreißigjährige schonungslos die Schrecken einer Essstörung, die sie fast ihr Leben gekostet hätte. Immer auf der Grenze zwischen Rausch und Krankheit führt Vukovic uns tief in ein Unheil hinein, in das jeder von uns stürzen könnte - und zeigt, wie sie es in ein gesundes und glückliches Leben schaffte.

Sonja Vukovic schreibt so fesselnd, dass man als Leser geradezu süchtig danach wird, zu erfahren, wie ihre Geschichte weitergeht. Zwischen Scheitern und Sehnen, Verzweiflung und Erwartung bricht Vukovic Tabus, macht Betroffenen Hoffnung und legt den Finger in die Wunde der Gesellschaft, die dem Rausch huldigt, Süchtige aber verachtet.

Sonja Vukovic hat als Journalistin mit Schwerpunkt Biografie, Gesellschaftskritik und Sozialpolitik bereits für "Die Welt", "stern.de" und "Spiegel" geschrieben. Sie wurde mit dem "Grimme Online Award" und dem "Axel-Springer-Preis" ausgezeichnet. 2013 erschien ihr internationaler Bestseller "Christiane F. - Mein zweites Leben". Nach dem Aufbau der "F. Foundation" für Suchtprävention und -aufklärung schreibt sie nun an weiteren Büchern. Heute lebt Sonja Vukovic in Berlin und ist Mutter einer Tochter.


Rezension: 

Sonja Vucovic erzählt ihre eigene Geschichte, was das Buch so authentisch macht. Man spürt auf jeder Seite, dass Sonja das Erzählte selbst erlebt und durchgemacht hat. 

Die Autobiographie ist wie ein Roman geschrieben und deshalb lebhaft und flüssig zu lesen. Es beginnt mit Sonjas Aufenthalt in den USA als Au-Pair. Dort wird sie mit 16 Jahren als Bulimikerin geoutet. Die Familie in Kalifornien nimmt das wahr, was ihre leiblichen Eltern nicht gesehen haben: Sonja macht viel Sport, isst kontrolliert in Gesellschaft und stopft heimlich Kalorisches in sich hinein, um es wenig später zu erbrechen. 

Ihr Auslandsaufenthalt wird abgebrochen. Zurück in Deutschland macht Sonja verschiedene Formen der Therapie. Sie wird zunächst in eine therapeutische Wohngemeinschaft für Essgestörte aufgenommen, die von Ärzten und Psychotherapeuten begleitet wird. In der Gemeinschaft mit den Essgestörten dreht sich unter den Mädchen alles um das Thema Essen. Die Jugendlichen vergleichen sich untereinander und sind stolz darauf, wenn sie wieder ein Kilo abgenommen haben und in eine kleinere Hosengröße passen. Sonja bildet da keine Ausnahme, sie ist regelrecht froh, dass man ihr die Erkrankung ansieht. 
Als sie immer weiter abnimmt, wird sie stationär in eine Klinik aufgenommen und mit einer Magensonde ernährt. Angefüttert zurück in der WG reflektiert sie, dass sie hier nicht gesunden kann. Unter der Voraussetzung einer ambulanten Therapie darf sie in eine eigene kleine Wohnung ziehen. 

Sonja möchte als Journalistin arbeiten und erhält einen Praktikumsplatz in Berlin. Dort lernt sie Constantin kennen, der ihr zum ersten Mal das Gefühl  von Wärme und Geborgenheit in ihrem Leben vermittelt, das ihre Eltern, die selbst krank sind (der Vater Alkoholiker, die Mutter depressiv), ihr nicht geben konnten. 
Aber auch die Beziehung zu Constantin ist nicht gesund. Während er nach Ruhm und Erfolg süchtig ist, ist Sonja weiterhin süchtig nach essen und erbrechen. Ihre Sucht verlagert sich zudem, in dem sie durch Constantin in den Sumpf aus Drogen gerät

13 Jahre werden geschildert, die dem Leser offenbaren, wie jemand an Bulimie und Anorexie erkrankt und was die Auslöser dieser Suche nach Erleichterung sind. Sonja Vucovic berichtet schonungslos ehrlich und tabulos ohne Scham über ihre eigene Biographie. 

Das Buch ist nicht nur für Betroffene von Essstörungen eine Möglichkeit, das Schicksal einer Leidensgenossin zu erfahren, sondern bietet auch für Angehörige - und Co-Abhängige - einen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt einer Essgestörten. 

Darüber hinaus stellt Sonja Vucovic sehr gut dar, dass Bulimie bzw. Anorexie eine Krankheit ist, die sich kein Mensch freiwillig ausgesucht hat. Leider werden Essstörungen in der Gesellschaft häufig nicht als psychische Erkrankung wahrgenommen, sondern Teenager oder jungen Frauen der Vorwurf gemacht, einem falschen Körperbild und Modelmaßen nachzueifern. Wenn man den Hintergrund von Sonja Vucovic mit dem sexuellen Missbrauch durch ihren Sporttrainer kennt, wird klar, dass sie durch ihre Ess-Brechsucht in einen Rauschzustand geflohen hat, der ihr vermutlich von ihrem Vater vorgelebt wurde. 

Für Angehörige ist diese Buch im Vergleich zu vielen anderen Büchern über Essgestörte am Ende weniger bedrückend, da Sonja Vucovic sich mit Ende 20 als gesund bezeichnet und mit 31 Jahren glücklich verheiratet und Mutter einer Tochter ist. Für sie gibt es nach einem langen Leidensweg, den zu überwinden es viel Kraft und vor allem Mitgefühl für sich selbst braucht, ein Leben nach der Essstörung. 
"Gegessen" ist insofern ein mutiges Buch, das Mut macht!

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